Ein Chinese in Europa – zuerst Oberklasse, dann auch günstiger
Nio, einer der grossen Anbieter von Elektroautos auf dem chinesischen Markt, drängt nach Europa. Zuerst nach Europa, zuerst mit mittel- bis oberklassigen Fahrzeugen. Danach wollen sie mit einer Billigmarke noch eins obendrauf setzen.


Der erste Ansturm aus Fernost auf die europäischen Automärkte gelang in den 1970er Jahren den japanischen Herstellern. Nur kurz war die Phase, in der sie noch belächelt wurden, dann verging den Platzhirschen das Lachen. Die Glanzzeiten japanischer Hersteller in Europa sind mittlerweile vorbei. Jetzt wird teils wieder gelächelt, über die Versuche chinesischer Hersteller, auf dem Alten Kontinent Fuss zu fassen. Ihr Erfolg blieb bislang überschaubar.
Doch nun bietet der Wandel zur Elektromobilität neuen Mitspielern wohl bessere Einstiegschancen. Bisher stiessen sie auf Anbieter, die ihre Konzepte über Jahrzehnte feingeschliffen hatten. Für die meisten E-Auto-Kunden hingegen dürften Fahrwerks-Finessen oder Verarbeitungs-Pingeleleien weniger interessieren als Reichweiten oder ausgeklügelte Konnektivität. Ein Hinweis darauf gibt Tesla, dessen Autos lange eher mit amerikanischer Lässigkeit zusammengebaut waren als mit germanischer Akribie. Den Erfolg dieses Newcomers hat’s nicht im geringsten gebremst.
Die nächsten Strom-Newcomer nun sind in Mitteleuropa eher aus China denn aus den USA zu erwarten. Denn wer auf den Highways punkten will, entwickelt entweder Luxuslimousinen wie Lucid oder Pick-ups/SUV wie Rivian.
Günstiger Stromer für die Schweiz
In der Schweiz versucht seit einiger Zeit die Marke JAC Fuss zu fassen. Mit dem klassischen Einstiger-Argument eines günstigen Kaufpreises. Der JAC e-S4 ist ein brav motorisierter, kompakter Crossover, den es mit 40 kWh-Batterie für 23'000 Franken zu kaufen gibt, oder für bloss 13'000 Franken exklusive Stromspeicher, den man mit monatlichen Raten bezahlt.
Weiter oben in der Hackordnung ist die Marke Nio anzusiedeln. Das 2014 gegründete Unternehmen verhehlt seine globalen Ambitionen nicht. Schon im September soll der Marktstart in Norwegen erfolgen, dem Land mit der weltweit höchsten Stromer-Dichte.
Nio mit grossen Ambitionen
Nio war 2020 finanziell ziemlich klamm, kommt seither aber dank Drittmitteln der Region Hefei über die Runden (als Dankeschön für Zusagen, weiter in der Gegend zu investieren). Im zweiten Quartal 2021 hat Nio im Heimmarkt 22'000 Fahrzeuge abgesetzt. Ansonsten verströmt der Hersteller einigen globalen Charme: «Wir betreiben seit 2015 unser Designcenter in München, in Oxford sitzt ein Performance-Team, in San José im Silicon Valley haben wir unser Software-Team. Mittlerweile beschäftigen wir mehr als 9000 Mitarbeiter aus 45 Ländern. Wir sind als erstes in China in den Markt gegangen. Jetzt geht es darum, unsere Marke und unsere Produkte in Europa einzuführen», sagt Nio CEO und Gründer William Li.
Der Marktstart in Norwegen war für Juli anberaumt, wurde auf September verschoben und scheint insofern noch nicht gesichert, dass Nio seine Homepage zwar auch auf Norwegisch führt, ein Verkaufspreis aber nirgends auszumachen ist.
Das erste Export-Modell, der ES8, hat mit der Bescheidenheit von JAC wenig zu tun. Angeboten wird ein fünf Meter langes und beinahe zwei Meter hohes, siebenplätziges SUV. Erhältlich mit einer 100-kWh-Batterie und 400 kW Spitzenleistung, was den 2,5-Tönner (trotz Alu-Chassis) in unter 5 s auf Tempo 100 scheucht. In Europa ist der ES8 seit Juni 2021 zugelassen, die noch nach NEFZ eingestufte Reichweite wird mit 580 km angegeben. Wird nicht klappen, wenn man Topspeed 200 auch nur für Sekunden ausprobiert.
Batterie laden… oder tauschen
Nio hat angekündigt, in Norwegen ein Ladenetz mit Superchargern aufzubauen. Der Reichweiten-Herausforderung will Nio aber nicht nur mit DC-Schnellladern begegnen, sondern auch mit der nicht ganz neuen, aber noch nirgends umgesetzten Idee des Batterietauschs begegnen. Die ersten vier solcher Stationen sollen noch 2021 in Betrieb genommen werden. Weitere Swap Stationen kommen 2022 hinzu, so dass in Norwegen ein Power-Netzwerk entstehen wird, welches unter anderem die fünf wichtigsten Städte und verkehrsreichsten Routen abdeckt.
Noch bevor der riesige Schritt von China nach Europa wirklich vollzogen ist, schmiedet Gründer William Li bereits weitere Pläne, nämlich den Aufbau einer neuen Marke für den Massenmarkt. Auf dem Niveau von VW oder Toyota, wie Li festhält, oder anders formuliert mit «besseren Produkte und Services zu geringeren Preisen als Tesla», wie ihn das Portal t3n zitiert.